Donnerstag, 20. Oktober 2011

Guilin

Ich betrete den Speisewagen des Nachtzuges nach Guilin. 13 Stunden Fahrt erster Klasse für knapp 60 Euro. Aus der Küche gleich neben der Eingangstür steigt dichter Wasserdampf aus den großen Töpfen empor denn es ist Abendbrotzeit. Durch die weit geöffneten Fenster zieht er nach draußen in die Dunkelheit. Am Türrahmen lehnt der Koch mit einer Zigarette im Mundwinkel. Die Asche fällt auf den Boden. Sein Gesicht ist von Müdigkeit gezeichnet, genau wie meins. Im Hintergrund ist lautes Menschengebrabbel zu hören. Langsam ziehe ich die Tür zum Sitzbereich des Wagens auf. Auf einmal wird es still. Von allen Seiten werde ich angestarrt. Während ich durch den Wagen laufe, schwenken die Köpfe zielsicher mit und wenden sich nicht eine Sekunde von mir ab. Man könnte eine Stecknadel fallen hören. In der zweiten Reihe finde ich noch einen freien Tisch. Am Nachbartisch sitzen vier Männer, die das Kartenspielen eingestellt haben und aus unmittelbarer Nähe herüber starren. Nach zwei Wochen China habe ich mich allerdings an die gesteigerte Aufmerksamkeit gewöhnt und reagiere mit einem Lächeln. Sie freuen sich und lächeln zurück. In den großen Wirtschaftszentren wie Hongkong oder Guangzhou wäre fast Niemandem die Anwesenheit eines Europäers aufgefallen. Es ist aber bemerkenswert, dass teilweise schon ein paar Kilometer Fahrt ausreichen, um eine völlig andere Situation zu schaffen. Ein Hinweis dafür, dass die ländliche Gegend von der rasanten Entwicklung Chinas bisher fast unberührt geblieben ist. Entweder die Menschen strömen in die großen Ballungsräume oder sie bleiben auf dem Land wie isoliert.
Die Situation im Speisewagen ist hingegen unverändert. Mir direkt gegenüber sitzt ein kleiner untersetzter alter Mann in Militäruniform und einem Zahnstocher im Mund. Brauchen tut er ihn eigentlich nicht, denn viel zu stochern gibt es nicht mehr. Ein wenig finster schaut er drein. Sobald ich ihn ansehe schaut er weg. Immer und immer wieder. Dieses Spiel werden wir noch die nächste halbe Stunde spielen, dann schläft er ein. Hauptgrund, dass ich mein super bequemes Bett direkt am Fenster aber überhaupt gegen einen dieser unbequemen Hocker getauscht habe, ist neben dem Hunger die einzig frei zugängliche Steckdose im gesamten Zug, denn ich möchte die Fahrt nutzen, um ein wenig von Dem, was hier um mich herum so passiert, festzuhalten. Langsam öffne ich meinen Tagesrucksack und hole einen Adapter für das chinesische Stromnetz hervor. Dann das deutsche Netzteil und stecke beide zusammen. Ratlosigkeit macht sich breit. Wahrscheinlich wäre es nun möglich, durch Hin- und Herschwenken das Netzteiles die Köpfe nach Belieben zu steuern. Aber derartige Späße verkneife ich mir lieber. Nun das Netbook. Dicke Fragezeichen stehen unübersehbar in den Gesichtern der ungläubigen Beobachter. Mit einem Lächeln kann man diese aber stets für einen Moment verschwinden lassen. Dann Lächeln die Chinesen freundlich zurück. Ein lustiges Volk sind Sie ja schon im Land des Lächelns. Das jedenfalls trifft meiner Meinung nach absolut zu.


Guilin an sich ist total überfüllt. Es ist National Holiday, die einzige Woche im Jahr, in der annähernd jeder Chinese Urlaub hat und sich ein ganzes Land in Bewegung befindet. Aus diesem Grund bleibt mir auch keine andere Wahl, als für 40 Euro die Nacht im Stadtkern abzusteigen. Für chinesische Verhältnisse ein halbes Vermögen. Allerdings nur für eine Nacht, dann kann ich glücklicherweise mein überteuertes Hotel gegen ein Hostel tauschen. Für einen Bruchteil des Preises. Ich packe also meine sieben Sachen und ziehe um. Taxis gibt es auch in Guilin wie überall zu Hauf. Nur will mich par tu keiner fahren. So laufe ich nach Kompass zu Fuß in Richtung Hostel und versuche mein Glück immer wieder aufs Neue. No way. Schlussendlich hält an einer Kreuzung ein Polizist mit Motorrad neben mir an um mir seine Hilfe anzubieten. Über das Hostel lasse ich ihm den Weg auf Chinesisch verständlich machen. Er nickt. Nach kurzer Verhandlung habe ich auch seine völlig überzogene Forderung in normal übliche Bereiche relativiert. Es sei nochmal angemerkt: Es handelt sich hier um einen Staatsdiener, dessen Aufgabe eigentlich nicht darin bestehen sollte, gegen Bezahlung Touristen von A nach B zu fahren. Mir ist es Wurscht, ich setze ich mich samt Backpack und Tagesrucksack zu ihm auf das nun völlig überladene Motorrad. Der Höllenritt beginnt. Da auf unserer Fahrbahn Stau ist wird entgegengesetzt der Fahrtrichtung auf der anderen Seite gefahren. Mit irrem Tempo geht´s dann weiter in Schlängellinien zwischen Autos und über Fußwege. Verkrampft kralle ich mich mit einer Hand in seine Schulter, mit der anderen an den Mitfahrergriff des Motorrads und hoffe, dass alles bald vorbei ist. Nach gut einer viertel Stunde sind wir am Ziel. Endlich lese ich den Schriftzug des Hostels, wo ich exakt bis vor die Tür, fast schon bis in die Lobby gefahren werde. Als Dank für die zügige Beförderung gibt´s für den Polizisten natürlich noch ein Trinkgeld. Seine gelben Zähne leuchten zum Abschied angestrahlt durch das Scheinwerferlicht in der Nacht..



Die folgenden Tage verbringe ich überwiegend in der Umgebung rund um Guilin. Bei einer Flussfahrt nach Yangshuo durch die wunderschöne Karsthügellandschaft zum Beispiel, die es sogar auf die 20 Yuan Note geschafft hat. Oder auch in den angrenzenden Westbergen, einem weitläufigen Nationalpark ganz in der Nähe.


Viel beeindruckender sind aber die Hochebenen nördlich von Guilin, in denen ich mich anschließend  für eine Zeit niederlasse. Es ist die Gegend der großflächigen Reisterrassen, die den Bergen in dieser Gegend das Aussehen von geografischen Höhenlinien verleihen. Wie in den topografischen Karten der Atlanten. Bis zum Mittag sind die Täler stets in dichten Nebel gehüllt, der nach durchdringender Sonne dann blitzartig verschwindet und die traumhaft schöne Landschaft zum Vorschein bringt. Auch verschiedenste Vogelarten, Libellen und  Schmetterlinge so groß, bunt und vielfältig, wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe. Dicht in die Schluchten der Berge schmiegen sich kleine Ortschaften bestehend aus gepflasterten Gassen und Holzhäusern mit unregelmäßigen Schieferdächern, in denen überwiegend Bewohner der Zhuang und Yao-Nationalität leben. Bereits früh am Morgen hallen Gebetsgesänge durch die Weite der Täler. Eine beeindruckende, anmutige Atmosphäre, die ich stets mit dieser Region in Verbindung bringen und in Erinnerung behalten werde.



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