Donnerstag, 20. Oktober 2011

Guangzhou und die Baiyun University

Der erste Monat ist um und es gibt so viel zu berichten. So viel habe ich bis hierhin schon erlebt. Aber ich möchte euch nicht mit dem lückenlosen Heruntergebete meiner Ausflüge und Unternehmungen langweilen. Anstatt dessen will ich mich lieber auf ein paar wenige Erlebnisse beschränken. Mich gemeinsam mit euch in diese zurück versetzen. Weil sie auch viel mehr aussagen, wie ich finde. Einiges wird aber selbstverständlich mein Geheimnis bleiben.. ;)

Also gut, fangen wir mal an..
Bevor ich etwas über meine eigentliche Reise berichte, möchte ich zunächst ein paar Worte über unsere Zeit an der Baiyun University verlieren. Weil das, was wir in dieser Woche dort erlebt haben jeden von uns schmunzeln lies..
Eines deshalb zu Beginn: Die folgende Geschichte hat sich tatsächlich so abgespielt. Ich befand mich während des Erlebten und auch beim Niederschreiben bei normalem Bewusstsein und im Rahmen menschlicher Zurechnungsfähigkeit. Nur für den Fall, dass mir Einige von euch diese nach den folgenden Zeilen aberkennen möchten..


Also: Hattet ihr in eurem Leben schon mal die Möglichkeit euch wie richtige Stars zu fühlen? Nein? Ich auch nicht. Bis wir im Rahmen unserer Firmenbesichtigung die Baiyun University in Guangzhou besuchten. Eigentlich war sie viel mehr als das. Sie war für eine ganze Woche unser Zuhause, denn wir waren im Universitätseigenen Hotel untergebracht – direkt auf dem Campus.
Aber der Reihe nach: Nach zweistündiger Fahrt von Hongkong werden wir am Bahnhof in Guangzhou von Dr. Wu in Empfang genommen. Lange Zeit war er in Jena gewesen, spricht hervorragend deutsch und wird somit in den nächsten Tagen die dolmetschende Verbindung zum chinesischen Neuland darstellen. Mit dem Bus geht’s auf Hochstraßen weit über den Häuserdächern durch den Berufsverkehr von Guangzhou auf direktem Weg zur Uni. Am frühen Abend durchfahren wir still und leise das Haupttor zum Universitätsgelände, das von einem mächtigen Zaun umgeben ist. Nach einer kurzen Verschnaufpause erfolgt das Abendessen. An einem riesengroßen Rundtisch, auf dem eine fast genauso große Glasplatte aufgebracht ist. Sie ist drehbar gelagert und dient der Aufnahme der Speisen. Während des Essens wird sie dann mehrfach gedreht, damit sich jeder der am Tisch Sitzenden an sämtlichen Speisen bedienen kann. Mit uns am Tisch sitzt die Leitung der Universität, um uns willkommen zu heißen und uns auf den bevorstehenden Abend sowie die kommenden Tage einzustimmen. Auf derartigen Tischen werden wir in den folgenden Tagen bei verschiedensten Anlässen Gelegenheit haben, die chinesische Speisekarte hoch und runter zu probieren.
Nach der Einstimmung gehen wir zusammen auf das Unifest, auf dem eine Auswahl von Studenten ihr Können in den verschiedensten Disziplinen auf einer Bühne präsentiert. Direkt davor in erster Reihe steht ein langer Tisch, der für uns bereitgehalten wird. Ein wenig unangenehm ist es uns schon, die noch freien Plätze während des bereits laufenden Festes und vor den Augen der in dem Rondell sitzenden Studenten einzunehmen. Unter der Ankündigung der Moderatoren versteht sich. Mit so viel Gastfreundlichkeit müssen Deutsche erst mal klarkommen. Allerdings ist das nur ein kleiner Vorgeschmack für die nächsten Tage..
Diese Tage sind von früh bis spät durchgeplant. Ein Termin folgt dem Nächsten. Sightseeing, ständiges Fahren von A nach B, Firmenbesichtigungen, Diskussionsrunden, sogar ein Treffen mit Regierungsvertretern. Von halb acht Uhr morgens bis zehn Uhr abends sind wir beschäftigt. Zwei chinesische Studentinnen sind eigens für uns abgestellt worden, um uns bei eventuellen Problemen jederzeit hilfreich zur Seite stehen zu können. Sie begleiten uns rund um die Uhr. Immer wieder lesen wir auf Plakaten oder Leinwänden Begrüßungen, die den Anschein erwecken, dass wir hier wirklich sehnsüchtig erwartet werden. Warum dieser ganze Aufwand? Dass es sich nicht ausschließlich um reine Gastfreundlichkeit handelt, wird uns erst am zweiten Tag klar, als das Drängen um den Aufbau eines Netzwerkes zum Technologietransfer übermäßig intensiviert wird. Wir besichtigen merkwürdige Produktionslinien, während der Rundgänge bleibt keiner unsere Schritte unbeobachtet. Fotografen und Videokameras sind ebenfalls ständige Begleiter. Auch bei einer organisierten Diskussionsrunde mit „ausgewählten Studenten“ wird Protokoll geführt. Wir erzählen von unserem Leben in Deutschland, vom Reisen und von freier Entfaltung. Einigen stößt das sicher ein wenig unangenehm auf. Aber gut, an dieser Stelle möchte ich aufhören mit all den Verschwörungstheorien.
Zwei Dinge faszinieren dennoch ungemein. Auf der einen Seite die Stadt Guangzhou, die im letzten Jahrzehnt wie aus dem Boden gestampft eine absolute Superlative darstellt. Der Kontrast zwischen Arm und Reich wird einem unübersehbar vor Augen geführt. Als Europäer ist es schwer zu begreifen, welche Aufbruchsstimmung in diesem Land herrscht, wohin sie bis zu diesem Zeitpunkt schon geführt hat, wohin hin sie wahrscheinlich noch führen wird. In jeder Stadt, egal ob groß oder klein, werden gigantische Bauvorhaben realisiert, wird Wohnraum für abertausende Menschen auf die grüne Wiese gepflanzt. In den weitläufigen Ebenen des Landes bahnen sich neue Straßen- und Bahnverbindungen rücksichtlos ihren Weg.



Auf der anderen Seite ist es der Kontakt zu den Studenten, den wir in unserer wenigen Freizeit, zumeist am Abend pflegen. Und schon bin ich bei meinen einleitenden Worten: Seit dem ersten Tag stehen wir hier im Fokus. Besonders bei den Mädels. Gegenrennen, stolpern, fallen lassen. Dinge, die normalerweise Männern beim Anblick schöner Frauen passieren, sind hier umgekehrt zu beobachten. Wo auch immer wir uns bewegen sorgen wir für Aufmerksamkeit, halten sie sich aneinander fest und bekommen höchstens ein schüchternes Hallo über die Lippen. Wird das von uns erwidert, schlägt das durch und durch. Wie bei kleinen Schulmädchen. Kein Wunder: Die Studenten sind wie eingesperrt, dürfen das Unigelände nach halb acht nicht mehr verlassen, nur Freitag und Samstag gibt’s bis elf Uhr Ausgang. Und da sind wir natürlich die willkommene Abwechslung zum tristen Unialltag. Mit unserem Aussehen, Auftreten und dem ganzen Hype, der um uns gemacht wird. Die Gelegenheit, um alteingesessene Regeln zu brechen, was besonders den Sicherheitskräften, die nachts mit Taschenlampen über den Campus streifen, stark missfällt. Alles unter dem Vorwand für die Sicherheiten der Studenten zu sorgen natürlich. Da diese außerhalb des Geländes nicht gewährleistet werden kann, müssen die drin bleiben. Alles klar.



Bereits am ersten Abend lerne ich ein chinesisches Mädchen kennen. Die englische Übersetzung ihres Namens ist Mandy. 21 Jahre, ein süßes Mädel. Sie spricht gerade verständlich Englisch. Fortan treffen wir uns jeden Abend. Schritt für Schritt beantworte ich ihre neugierigen Fragen mit Antworten die mehr erzählen. Erzähle ihr von der Welt außerhalb dieser Mauern. In der Tat hat sie bisher nicht viel mehr gesehen, als ihre Heimatstadt Dongguan, die anderthalb Stunden entfernt liegt und diesem Unicampus. Sie ist das Ebenbild eines guten Studenten, wie er hier gesehen wird. Und es gibt Momente, an dem ich wirklich kurz innehalten muss, wenn sie diese unglaublichen Fragen stellt. An denen mir fast die Tränen kommen, ich sie an der Hand nehmen und mit auf diese Reise nehmen möchte, um irgendwo, in the middle of nowhere zu stehen und ihr zu zeigen: Das ist die Welt, so vielseitig und wunderschön. Sieh sie dir an, sie liegt zu deinen Füßen! Aber so viel Weltoffenheit ist in China nicht unbedingt gern gesehen. Hier werden die Menschen nach bestimmten Denkmustern erzogen, werden kontrolliert, um sie beherrschbar zu machen. Es zeigt einem einmal mehr, warum Menschen schon immer bereit waren, für ihre Freiheit zu kämpfen. Nicht wenige Kriege wurden deshalb geführt, schließlich ist sie das Wertvollste was wir haben.
Und so vergeht Tag um Tag. Unser Prominentenstatus steigt stetig, wir sind Gesprächsthema Nummer Eins am Campus. Am letzten Abend schließlich mündet die ganze Aufregung in einer unglaublichen Euphoriewelle, als wir mit den Studenten zu einem letzten Treffen verabredet sind. So viele sind gekommen, um uns zu verabschieden. Ich weiß gar nicht, auf wie vielen Fotos wir posiert und wie viele Fragen wir beantwortet haben. Wir werden regelrecht angehimmelt. Die FH-Jena Präsente, die wir zum Verteilen mitgebracht haben, werden uns förmlich aus den Händen gerissen. Zum Abschluss stellen wir Masterstudenten uns noch einmal gemeinsam auf, um für ein letztes Foto zu posieren. Im Blitzlichtgewitter der Kameras mehrerer hundert chinesischer Studenten, die im Halbkreis um uns herum stehen. Mehrmals lasse ich mich kneifen, um das was hier passiert, irgendwie begreifen zu können. Einige von uns haben selbst die Kameras in der Hand, um etwas festzuhalten. Denn das was hier passiert ist, wird man zu Hause nur schwer jemandem glaubhaft machen können. Und ich würde es noch nicht einmal jemandem übel nehmen..

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