Donnerstag, 20. Oktober 2011

Von Guilin bis Kunming

Nach einigen Wochen hier in China habe ich mich mittlerweile von der Ostküste kontinuierlich in Richtung Westen bis nach Xingyi durchgekämpft. Bis zu meinem Ziel Kunming sind es nur noch ein paar hundert Kilometer. Die Landschaft wird mit jedem Kilometer beeindruckender. Traumhaft schöne Wasserfälle, gigantische Schluchten und riesige unterirdische Höhlensysteme kann man hier entweder zu Fuß oder mit Paddelbooten bestaunen. Der Kulturschock ist enorm. Die Menschen, die Städte, alles sieht eben anders aus. Einer der Hauptgründe dafür, dass man von vornherein nicht erwartet, dass hier etwas genauso ablaufen könnte, wie bei uns.



Zunächst erreiche ich jedoch Anshun mit dem Zug. Die Sitzordnung meint es gut mit mir und so sitze ich mit drei Studentinnen an einem Tisch, die auf dem Weg nach Kunming sind. Wir verstehen uns auf Anhieb gut. So gut, dass ich den Ausstieg in Anshun erst mal verpasse. Verdammt. Wohl oder übel muss ich bis zur nächsten Station weiter fahren. Bis nach Luizhi, das eine gute halbe Stunde entfernt liegt.
Dort angekommen versuche ich mich schnellstmöglich um ein Ticket in die entgegengesetzte Richtung zu bemühen. Am Bahnhofsschalter zeige ich mein Zugticket, um verständlich zu machen, wo ich hin möchte. Hektik bricht aus. Zwei Männer kommen auf mich zugestürzt, packen mich an den Armen und ziehen mich nach oben zum Bahnsteig. Lautes Geschrei. Der Zug aus dem ich vor drei Minuten ausstieg ruckt kurz an und fährt weiter. Die Männer sind geknickt. Aber endlich ruhig. Nun habe ich Gelegenheit, ihnen verständlich zu machen, dass ich nach Anshun möchte – in die andere Richtung. Diese Chinesen: In der Eile haben sie wieder nur einen Blick auf die Zugnummer geworfen, nicht aber einen Zweiten auf den Zielbahnhof. Die ganze Aufregung also umsonst. Nun werde ich zum Bahnhofsoffice gebracht. Auf dem Sofa liegt ein Polizist und schläft. Im Büro lautes Gebrabbel. Drei Damen kommen heraus und nehmen sich meiner Person an. Nun beschäftige ich also schon fünf Mitarbeiter. Das ist das Schöne an China: Hast du ein Problem ist jeder bereit dir zu helfen. Fast schon mit Übereifrigkeit. Schwer verständlich hat auch stets jeder Zeit, egal wie lange es dauert. Der Polizist ist mittlerweile durch den ganzen Tumult aufgewacht und bietet mir prompt seinen Platz auf dem Sofa an. Da sitze ich nun, meinen großen Rucksack auf dem Rücken, das Daypack auf der Brust. Um mich herum eifriges Gewusel. Ich warte erst mal ab. Eine Mitarbeiterin kommt auf mich zu und schreibt mir ein paar Zeichen auf ein Stück Papier. Sie besteht darauf, mir das passende Ticket zu besorgen. Ich darf mich nicht vom Fleck rühren. Auch dann nicht, als ich das Ticket bereits in den Händen halte. Sie möchten mir Bescheid geben, sobald der Zug einfährt. Hier in der Provinz, wo das alle zwei Stunden mal der Fall ist. Da sich der „Schnellzug“, äußerlich unserem ICE durchaus ähnlich und mit supernettem Bordpersonal ausgestattet, um eine geschlagene Stunde verspätet, bleibt noch genug Zeit, um mit der halben Bahnhofsbelegschaft plus Polizist bei einer Tasse Tee und einer Runde Karten zusammen zu sitzen. Anschließend werde ich zum Bahnsteig gebracht und winkend verabschiedet. Wie gesagt, das ist das Schöne an China. Immer hat jemand Zeit für dich, ist da jemand, der sich um dich kümmern möchte. Wie bei einer großen Familie..



Gestern habe ich zwei Schweizer getroffen. Es waren seit Guilin, das ich vor knapp einer Woche verlassen habe, die ersten Menschen, mit denen ich wieder ein paar Sätze wechseln konnte. Touristen treffe ich sonst keine. Dementsprechend viel Aufsehen errege ich mit meiner Anwesenheit. Hier im Landesinneren spricht zudem niemand auch nur ein Wort Englisch. Niemand. Das macht das Reisen und mancherorts selbst die eigentlich banale Beschaffung eines Zugtickets zur absoluten Herausforderung. China im Kern, in seiner grob erhaltenen Ursprünglichkeit, verschiebt die Prioritäten. Hier zählen keine Worte, da sie eh niemand versteht. Hier steht die Zwischenmenschlichkeit an erster Stelle. Hier wird auch der noch so selbstgefällige Europäer geerdet. Und es tut gut, das könnt ihr mir glauben.
Auch die Ernährung wird zunehmend komplizierter. Mit der regionalen Küche hier in Guizho kann ich mich so gar nicht anfreunden. Und von den Garküchen, die hier jede Fußgängerzone schmücken, halte ich nach überstandenen Magenkrämpfen erst mal Abstand. Mit der Zeit habe ich mir deshalb angewöhnt, bei der Ankunft in einer neuen Stadt bereits aus dem Taxi die Straßenzüge intensiv nach für mich bedeutenden Einrichtungen zu mustern. Vernünftige Restaurants, Banken und Möglichkeiten des öffentlichen Nahverkehrs stehen dabei an vorderster Stelle. Südchinesische Städte sind meiner Meinung nach recht ähnlich. Kennst du eine, kennst du alle. Sie zeichnen sich nur sehr gering durch einen eigenen Charme, durch einen besonderen Charakter aus. Nicht zuletzt aus diesem Grund fasziniert mich besonders die Provinz. Fernab jeglichen Großstadttrubels und Smogs. Der Weg führt hier zwangsläufig über einen selbst. Hier werden die Akkus für die Weiterreise aufgeladen. Zwar bekomme ich auch viel Armut zu Gesicht, aber begegnen mir dort auch immer wieder tolle Menschen. So aufgeschlossen, offenherzig und hilfsbereit, das es einem Anfangs regelrecht fremd erschien. Die Skepsis legte sich aber rasch und mittlerweile schenke ich diesen Leuten meine Bewunderung. Es ist schwer, das alles in Worte zu fassen und irgendwie möchte ich das auch nicht, aber eines vielleicht: Die Zeit in den weitläufigen Tempelanlagen, geprägt von Demut und Loyalität, diese Stimmung friedvoller und glücklicher Ruhe, ist weitaus mehr als ich mir vor Antritt dieser Reise je zu erträumen wagte. Dem Geist öffnet das Tür und Tor und führt dazu wirklich zu fühlen, dass es da tief im Herzen etwas gibt, das unglaublich viel stärker ist als der Verstand. Dass immense Kraft besitzt, die wir durch den Zugang zu unserem Inneren nutzbar machen können.
  

Eine bestimmte Sache ist allerdings mit Ausnahme der abgelegenen ländlichen, fast fahrzeugfreien Regionen in jedem Winkel Chinas gleich: Das Gedränge auf den Bürgersteigen, wo sich die Leute alle umeinander herumschlängeln und das unbändige Chaos auf den Straßen. Hier herrscht das gnadenlose Prinzip des Stärkeren, besser des Größeren und Schwereren. Kommuniziert wird über die Hupe – ununterbrochen. Gefahren wird dort wo gerade Platz ist. Die Farbe für Straßenmarkierungen, besonders für Fußgängerüberwege, könnte sich der Staat deshalb eigentlich sparen. Lichtleitanlagen im Prinzip auch, denn an Kreuzungen erlebt die chinesische Straßenverkehrsunordnung ihren Höhepunkt. Hauptfortbewegungsmittel der Chinesen ist der Roller. Unzählige dieser Dinger fahren quietschend und hupend, manchmal mit drei oder mehr Personen besetzt,  durch noch so enge Gassen. Selbst auf Bürgersteigen gibt es keine Sicherheit. Und gepaart mit der chinesischen Ungeduld ergibt das den typischen Mix, der den ganz normalen Alltag auf Chinas Straßen hervorruft. Das Überqueren einer Straße wird deshalb jedes Mal aufs Neue zur Mutprobe. Dabei darf angemerkt sein, dass in China kein internationaler Führerschein, sondern ausschließlich der chinesische akzeptiert wird. Jeder, der sich einmal auf chinesischen Straßen bewegt hat, wird fortan wissen warum.
  


Die letzten Tage bis zum Abflug verbringe ich dann in Kunming. Eine sehr entspannte Stadt, sauber und strukturiert. Nach der langen Reise kommt sie fast ein wenig unchinesisch vor. Untergebracht bin ich in einem Hostel, wie man es sich besser nicht wünschen kann. Vollgepackt mit super Leuten, unter anderem zwei Kölner, die in den letzten dreizehn Monaten mit dem Fahrrad von Zagreb bis hierher geradelt sind und deren Ziel Neuseeland ist. 13500km stehen bis dato schon zu Buche. Unglaublich. Oder Erik, 52 Jahre und ursprünglich aus Rotterdam. Seit 25 Jahren jedes Jahr für mindestens drei Monate hier in Asien und ein wahres Thailand-Orakel. Die ganzen Insiderinfos muss ich erst mal händeln. Hinzu kommen einige Amerikaner, Briten und Asiaten. Ein bunter Mix also und perfekt für lustige Abende. Kunming bietet seit langem auch endlich mal wieder die Gelegenheit, westlich essen zu gehen. Und so fällt die Wahl auf Papa John´s, spezialisiert auf Pizza und Pasta. Zwar spricht die Bedienung in einem amerikanischen Restaurant kein Englisch aber das Essen ist super. So gut, dass ich am zweiten Tag gleich nochmal vorbei schaue..
Das Restaurant ist wieder nur spärlich besucht. Die Kellnerin weißt mir gleich einen Platz zu. Am Fenster, so wie ich es mag. Ich nehme direkt Platz und vertiefe mich in die Speisekarte. Herrlich diese Auswahl, alles würde mir auf Anhieb zusagen. Keine Minute später bewegt sich da was. Langsam ziehe ich die Karte nach unten und schiele vorsichtig über den Rand hinaus. Mir gegenüber, am selben Tisch, sitzt eine Frau und lächelt mich an. Ein bissl dick ist sie, die Gesichtszüge deuten auf Thai oder Philli. Vom Alter her könnte es meine Mutter sein. Kurz lächle ich zurück, dann widme ich mich wieder voll und ganz der Nahrungsauswahl, lege aber aus Höflichkeit die Karte auf den Tisch. Wie angewurzelt sitzt sie da, keine Regung. Wieder blicke ich nach oben. Sie schaut mich ja immer noch an. Viel merkwürdiger, sie hat Hausschuhe an, neben dem Tisch steht ein vollgepackter Koffertrolli. Sehr merkwürdig. Aber gut, ich wähle in aller Ruhe mein Gericht und übergebe ihr die Karte. Nun ist sie endlich beschäftigt, blättert wie wild hin und her. Bei der Bestellung wartet sie lange, bestellt anschließend das gleiche Hauptgericht wie ich und flüstert der Bedienung irgendwas ins Ohr. Sie scheinen sich zu kennen. Die Karte ist weg, schon stehe ich wieder im Fokus. Sehr aufdringlich. Ich spreche sie an. Sie gibt nur ein paar kleine unverständliche Brocken Englisch von sich. Unterhaltung also nicht möglich. Kein Problem, während ich auf mein Essen warte und permanent angestarrt werde, schaue ich so lange aus dem Fenster. Kurze Zeit später bekommt sie ihre Spaghetti und ich meine Vorsuppe. Endlich. Alles gut soweit, nur warte ich anschließend verdächtig lange auf meine Nudeln. Frage ich doch einfach mal nach, ob da vielleicht etwas vergessen wurde. Die Handzeichen der Kellnerin korrigiere ich unmissverständlich. Sie bestellt Nudeln, ich bestelle eine Vorsuppe und Nudeln. Ganz einfach. Als sie mit ihrem Essen fertig ist, steht sie auf, läuft um den Tisch und setzt sich direkt neben mich, um mir mitgebrachte Servietten anzubieten. Ich lehne dankend ab, schließlich stehen Servietten zu Hauf auf dem Tisch. Und da kommen auch schon meine Nudeln. Während ich esse schiebt sie sich langsam näher und näher. Ok, Schluss. Ich lege mein Besteck zur Seite, wende mich ihr zu und frage mal nach, was das hier werden soll. Keine Reaktion. „I´m here for eating, not for dating! Ok?“ Keine Reaktion. Wie auch, wahrscheinlich hat sie kaum ein Wort verstanden. Nun gut, ich esse die Pasta und stehe auf. Auf dem Weg zum Counter frage ich noch einmal kurz in eine Runde chinesischer Geschäftsleute, ob heute vielleicht irgendein besonderer Tag in China sei. Sie versichern mir, dass das nicht der Fall ist. Denn was dort am Counter auf der Rechnung stehen wird ist schon viel zu lange offensichtlich. Selbstverständlich soll ich alles zahlen. Für eine Frau, deren Anwesenheit ich nie gewünscht habe, die auch noch nicht einmal annähernd attraktiv ist. Sorry. Und was ist, wenn ich die Rechnung bezahle, nimmt sie dann ihren Koffer und zieht bei mir ein? No way. Die Angelegenheit kläre ich mit dem Englisch sprechenden Restaurantleiter. Hier geht’s nicht um die paar Euro. Nachdem er die Pasta mit unzähligen Entschuldigungen von der Rechnung streicht, muss ich diese auch nur noch einmal korrigieren, damit ich nicht weiterhin zu viel zahle. Mit einem Schmunzeln verlasse ich den Laden. Die Story ist der Brüller in der abendlichen Runde. Ein lustiger Abschluss des Kapitels China. Und morgen geht’s ab nach Bangkok..

Guilin

Ich betrete den Speisewagen des Nachtzuges nach Guilin. 13 Stunden Fahrt erster Klasse für knapp 60 Euro. Aus der Küche gleich neben der Eingangstür steigt dichter Wasserdampf aus den großen Töpfen empor denn es ist Abendbrotzeit. Durch die weit geöffneten Fenster zieht er nach draußen in die Dunkelheit. Am Türrahmen lehnt der Koch mit einer Zigarette im Mundwinkel. Die Asche fällt auf den Boden. Sein Gesicht ist von Müdigkeit gezeichnet, genau wie meins. Im Hintergrund ist lautes Menschengebrabbel zu hören. Langsam ziehe ich die Tür zum Sitzbereich des Wagens auf. Auf einmal wird es still. Von allen Seiten werde ich angestarrt. Während ich durch den Wagen laufe, schwenken die Köpfe zielsicher mit und wenden sich nicht eine Sekunde von mir ab. Man könnte eine Stecknadel fallen hören. In der zweiten Reihe finde ich noch einen freien Tisch. Am Nachbartisch sitzen vier Männer, die das Kartenspielen eingestellt haben und aus unmittelbarer Nähe herüber starren. Nach zwei Wochen China habe ich mich allerdings an die gesteigerte Aufmerksamkeit gewöhnt und reagiere mit einem Lächeln. Sie freuen sich und lächeln zurück. In den großen Wirtschaftszentren wie Hongkong oder Guangzhou wäre fast Niemandem die Anwesenheit eines Europäers aufgefallen. Es ist aber bemerkenswert, dass teilweise schon ein paar Kilometer Fahrt ausreichen, um eine völlig andere Situation zu schaffen. Ein Hinweis dafür, dass die ländliche Gegend von der rasanten Entwicklung Chinas bisher fast unberührt geblieben ist. Entweder die Menschen strömen in die großen Ballungsräume oder sie bleiben auf dem Land wie isoliert.
Die Situation im Speisewagen ist hingegen unverändert. Mir direkt gegenüber sitzt ein kleiner untersetzter alter Mann in Militäruniform und einem Zahnstocher im Mund. Brauchen tut er ihn eigentlich nicht, denn viel zu stochern gibt es nicht mehr. Ein wenig finster schaut er drein. Sobald ich ihn ansehe schaut er weg. Immer und immer wieder. Dieses Spiel werden wir noch die nächste halbe Stunde spielen, dann schläft er ein. Hauptgrund, dass ich mein super bequemes Bett direkt am Fenster aber überhaupt gegen einen dieser unbequemen Hocker getauscht habe, ist neben dem Hunger die einzig frei zugängliche Steckdose im gesamten Zug, denn ich möchte die Fahrt nutzen, um ein wenig von Dem, was hier um mich herum so passiert, festzuhalten. Langsam öffne ich meinen Tagesrucksack und hole einen Adapter für das chinesische Stromnetz hervor. Dann das deutsche Netzteil und stecke beide zusammen. Ratlosigkeit macht sich breit. Wahrscheinlich wäre es nun möglich, durch Hin- und Herschwenken das Netzteiles die Köpfe nach Belieben zu steuern. Aber derartige Späße verkneife ich mir lieber. Nun das Netbook. Dicke Fragezeichen stehen unübersehbar in den Gesichtern der ungläubigen Beobachter. Mit einem Lächeln kann man diese aber stets für einen Moment verschwinden lassen. Dann Lächeln die Chinesen freundlich zurück. Ein lustiges Volk sind Sie ja schon im Land des Lächelns. Das jedenfalls trifft meiner Meinung nach absolut zu.


Guilin an sich ist total überfüllt. Es ist National Holiday, die einzige Woche im Jahr, in der annähernd jeder Chinese Urlaub hat und sich ein ganzes Land in Bewegung befindet. Aus diesem Grund bleibt mir auch keine andere Wahl, als für 40 Euro die Nacht im Stadtkern abzusteigen. Für chinesische Verhältnisse ein halbes Vermögen. Allerdings nur für eine Nacht, dann kann ich glücklicherweise mein überteuertes Hotel gegen ein Hostel tauschen. Für einen Bruchteil des Preises. Ich packe also meine sieben Sachen und ziehe um. Taxis gibt es auch in Guilin wie überall zu Hauf. Nur will mich par tu keiner fahren. So laufe ich nach Kompass zu Fuß in Richtung Hostel und versuche mein Glück immer wieder aufs Neue. No way. Schlussendlich hält an einer Kreuzung ein Polizist mit Motorrad neben mir an um mir seine Hilfe anzubieten. Über das Hostel lasse ich ihm den Weg auf Chinesisch verständlich machen. Er nickt. Nach kurzer Verhandlung habe ich auch seine völlig überzogene Forderung in normal übliche Bereiche relativiert. Es sei nochmal angemerkt: Es handelt sich hier um einen Staatsdiener, dessen Aufgabe eigentlich nicht darin bestehen sollte, gegen Bezahlung Touristen von A nach B zu fahren. Mir ist es Wurscht, ich setze ich mich samt Backpack und Tagesrucksack zu ihm auf das nun völlig überladene Motorrad. Der Höllenritt beginnt. Da auf unserer Fahrbahn Stau ist wird entgegengesetzt der Fahrtrichtung auf der anderen Seite gefahren. Mit irrem Tempo geht´s dann weiter in Schlängellinien zwischen Autos und über Fußwege. Verkrampft kralle ich mich mit einer Hand in seine Schulter, mit der anderen an den Mitfahrergriff des Motorrads und hoffe, dass alles bald vorbei ist. Nach gut einer viertel Stunde sind wir am Ziel. Endlich lese ich den Schriftzug des Hostels, wo ich exakt bis vor die Tür, fast schon bis in die Lobby gefahren werde. Als Dank für die zügige Beförderung gibt´s für den Polizisten natürlich noch ein Trinkgeld. Seine gelben Zähne leuchten zum Abschied angestrahlt durch das Scheinwerferlicht in der Nacht..



Die folgenden Tage verbringe ich überwiegend in der Umgebung rund um Guilin. Bei einer Flussfahrt nach Yangshuo durch die wunderschöne Karsthügellandschaft zum Beispiel, die es sogar auf die 20 Yuan Note geschafft hat. Oder auch in den angrenzenden Westbergen, einem weitläufigen Nationalpark ganz in der Nähe.


Viel beeindruckender sind aber die Hochebenen nördlich von Guilin, in denen ich mich anschließend  für eine Zeit niederlasse. Es ist die Gegend der großflächigen Reisterrassen, die den Bergen in dieser Gegend das Aussehen von geografischen Höhenlinien verleihen. Wie in den topografischen Karten der Atlanten. Bis zum Mittag sind die Täler stets in dichten Nebel gehüllt, der nach durchdringender Sonne dann blitzartig verschwindet und die traumhaft schöne Landschaft zum Vorschein bringt. Auch verschiedenste Vogelarten, Libellen und  Schmetterlinge so groß, bunt und vielfältig, wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe. Dicht in die Schluchten der Berge schmiegen sich kleine Ortschaften bestehend aus gepflasterten Gassen und Holzhäusern mit unregelmäßigen Schieferdächern, in denen überwiegend Bewohner der Zhuang und Yao-Nationalität leben. Bereits früh am Morgen hallen Gebetsgesänge durch die Weite der Täler. Eine beeindruckende, anmutige Atmosphäre, die ich stets mit dieser Region in Verbindung bringen und in Erinnerung behalten werde.



Hongkong

Hongkong. Nach knapp elf Stunden Direktflug von Frankfurt senkt sich der Flieger in die Dunstglocke, die über der Stadt schwebt, und setzt butterweich auf die Landebahn des auf einer Insel vorgelagerten Airports auf. Heftige Turbulenzen in der Nacht, die auch die große Boeing zwischenzeitlich mächtig ins Wanken brachten, machten das Schlafen fast unmöglich. Sei es drum, noch am Flughafen rüste ich mich für die Fahrt ins Zentrum und mache mich mit der nächsten Bahn auf den Weg.


Als ich nach knapp einer Stunde die Treppen aus dem Underground nach oben steige stehe ich auf einmal in Mitten von Menschenmassen am Rande einer Kreuzung im Stadtteil Mongkok. Eines scheint sofort klar: Die schönste Ecke Hongkongs haben wir hier zweifelsohne nicht erwischt. Hongkong zeigt sich hier von seiner ungeschminkten Seite. Alle paar Meter verdrängt ein Gestank den Anderen und macht das Atmen bei schwülen 40 Grad zur Herausforderung. Straßen und Fußwege sind hoffnungslos verstopft. Menschen bieten in kleinen Läden und an Straßenständen ihre Waren an, drängeln, schubsen, stoßen, das Stressbarometer schnellt schon nach kurzer Zeit in ungeahnte Höhe. Hongkong Mainland eben, hier fühlt es sich dreckig, hektisch und erdrückend an.
Nach kurzer Suche finde ich die kleine Seitentür zum Hostel. Von einer Sekunde auf die Andere entfliehe ich dem Trubel und stehe in der Stille des Fahrstuhls, der mich rauf ins 14. Stockwerk zum Ckeck-In bringt. Das Hostel passt ins Gesamtbild dieses Stadtteils wie ein Spielsüchtiger nach Vegas. Von hoch oben schaue ich in einen tiefen Schacht. An den steil aufragenden Häuserwänden hängt Wäsche, die zum Trocknen aufgehängt ist. Das Waschen hätte man sich wohl sparen können. Die Zimmer des Hostels sind überall im Gebäudekomplex verteilt - auf verschiedensten Etagen und in den unmöglichsten Winkeln. Zunächst bin ich mit Klemens und Markus in einem akzeptablen 4-Mann-Dorm im 14. Stock untergebracht. Beim zweiten Besuch bekommen Rico und Ich ein Zimmer am Ende eines langen Ganges in der 8. Etage zugewiesen. Hier ist der Anblick ernüchternd. Sicher hatte ich nach den gewonnenen Eindrücken kein Penthouse erwartet, aber dieses Hostel schafft es doch tatsächlich, dem Ganzen noch eins drauf zu setzen. Absolut selbstverständlich zeigt uns die Hostelbesitzerin zunächst unser winziges Doppelzimmer, dann unser 1,5m² großes Bad, welches wir uns mit 4 weiteren Zimmern teilen müssen. Nach einem kurzen Blick hinein sehe ich die Toilette und das Waschbecken. Anschließend frage ich die Dame, wo sich die Duschräume befinden. Antwort: Geduscht wird ebenfalls in dieser Räumlichkeit, die selbst für eine Abstellkammer zu klein wäre. Scherzhaft frage ich sie, ob wir dafür die Toilette nutzen sollen. Wir lachen. Aber dieses treibt sie mir schnell aus dem Gesicht, als sie mir doch tatsächlich eine Duschbrause präsentiert, die in der Ecke neben dem Spülkasten angebracht ist. Sie meint das tatsächlich ernst und es handelt sich also wirklich um ein voll ausgestattetes Badezimmer auf der Grundfläche einer Hundehütte. Zu allem Überfluss geht sogar noch die Tür nach innen auf! Unser Entsetzen kommentiert sie dann mit den Worten: „This is Hongkong!“ Wie wahr.. Das allmorgendliche Prozedere sieht dann wie folgt aus: Nach dem Öffnen der Tür stellt man sich in den kleinen Freiraum hinter dem Waschbecken, um diese wieder schließen zu können. Anschließend breitbeinig über die Toilette um zu duschen. Umkleiden oder Abtrocknen ist im Bad selbstverständlich nicht möglich und muss vor der Tür geschehen. Dort hat man zwei Meter, bis man in den Sichtbereich einer Überwachungskamera gerät, die mir beim ersten Duschen natürlich verborgen bleibt. Und so bewege ich mich vollkommen frei auf dem Gang. Nichtsahnend, dass ich einige Etagen weiter oben bereits von der Hostelleiterin auf einem Bildschirm beobachtet werde. Rico, der hochgestiefelt war, berichtete mir wenig später über die Reaktion: „Naked man, naked man! Stefan is so crazy!“ Lustig war das allemal.
Das Hostel wurde in den letzten Jahren übrigens schon mehrfach umbenannt. Eine Maßnahme um den wiederholten Absturz im Hostelworld-Ranking abzufangen und wieder bei Null beginnen zu lassen. Wundern tut das natürlich niemanden.


Ansonsten hat Hongkong natürlich auch noch weitaus schönere und interessantere Ecken als die Gegend rund um Kowloon zu bieten. So besichtigen wir den impulsanten Hafen, ein traditionelles Fischerdorf auf der Insel Lantau, in deren Nähe wir auf einer Bootstour sogar rosafarbene Delfine zu Gesicht bekommen, die größte Buddha-Statue Chinas, die wir auf einer eindrucksvollen Fahrt mit einer Seilbahn erreichen. Die Abende vertreiben wir uns in coolen Bars rund um die Escelators.



Auch treffe ich nach langer Zeit endlich mal wieder Michel, der extra aus Singapur anreist und sich nun für die nächsten Jahre in Hongkong niederlassen wird. Zusammen schauen wir uns am Nationalfeiertag den Victorias-Peak an. Mit der Zahnradbahn geht’s durch dschungelartige Wälder auf nach oben. Ein unglaublicher Blick über Hongkong ist der verdiente Lohn für die einstündige Wartezeit im Tal. Am Abend lässt sich Hongkong zur Feier des Tages natürlich nicht lumpen und zaubert ein faszinierendes Feuerwerk über die beeindruckende Skyline an den Nachthimmel. Mit ein bisschen Trickserei schaffen wir es im Getümmel von Millionen Menschen und durch die zahlreichen Polizeiabsperrungen hindurch bis 5 Meter vors Pier, von wo aus wir eine grandiose Sicht haben. Anschließend stürzen wir uns ins berühmt berüchtigte Hongkonger Nachtleben.
Die Straßenzüge im Party-District auf Hongkong Island sind taghell erleuchtet durch abertausende Lichter. Unzählige Bars, Restaurants und Clubs reihen sich dicht aneinander. Die Straßen sind hier bedeutend sauberer als auf dem Mainland. Nur die kleinen dunklen Seitenstraßen sind total verkommen. Geht man zum Pinkeln in eine dieser hinein, sieht man alles, was man sich eigentlich lieber ersparen möchte. So ist man überwiegend damit beschäftigt, den Strahl in Richtung der fast mausgroßen Schaben zu schwenken, die blitzschnell auf einen zugestürzt kommen und sich so aber recht problemlos vertreiben lassen. Froh bin ich jedoch jedes Mal aufs Neue, wenn ich wieder im Hellen bin.
Da Feiertag ist, haben fast alle Mates frei. Das sind zumeist Haushelferinnen, die in ihrer wenigen Freizeit natürlich auf ihre Kosten kommen wollen. Und so sind die Clubs randvoll mit tollen Frauen. Wirklich zauberhafte Frauen. Während meiner gesamten Zeit hier habe ich in der Tat nicht eine beleibtere Frau gesehen. Im Gegenteil, nur die wunderschönsten Figuren. Aber genug der Schwärmerei.. Zu den Einheimischen Girls mischen sich Philippinos, Thailänder- und Indonesierinnen, die einen mit verwunschenem Blick anschauen. Doch bleibt Vorsicht geboten: In Hongkong regiert das Geld und so gibt es in der Stadt speziell am Feiertag wahrscheinlich so viele Nutten, würden sie sich alle an den Händen fassen, man könnte wohl einmal den Erdball umrunden. Selbst die meisten Mates möchten sich ihre bescheidenen Gehälter durch einen kleinen Obolus aufbessern. Und so gehört es zum guten Ton, wie in Amerika das Trinkgeld, dass man der Auserwählten am nächsten Morgen eine Kleinigkeit zusteckt.



Früh am Morgen lande ich wieder im Hostel. Eine lange Nacht in den Knochen. Nach ein paar Stunden Schlaf packe ich meine Sachen zusammen und verabschiede mich von Lena, Rico, Christian und André, die sich erst am Abend auf den Weg nach Dubai machen um nach ein paar Tagen Entspannung anschließend den Weg in die Heimat anzutreten. In einem Menschenstrom bisher nie für möglich gehaltenen Ausmaßes treibe ich in Richtung Bahnhof, um meinen Zug zu erwischen. Der Zug raus aus all dem Tumult und Stress und rein ins tiefe Hinterland Chinas..

Guangzhou und die Baiyun University

Der erste Monat ist um und es gibt so viel zu berichten. So viel habe ich bis hierhin schon erlebt. Aber ich möchte euch nicht mit dem lückenlosen Heruntergebete meiner Ausflüge und Unternehmungen langweilen. Anstatt dessen will ich mich lieber auf ein paar wenige Erlebnisse beschränken. Mich gemeinsam mit euch in diese zurück versetzen. Weil sie auch viel mehr aussagen, wie ich finde. Einiges wird aber selbstverständlich mein Geheimnis bleiben.. ;)

Also gut, fangen wir mal an..
Bevor ich etwas über meine eigentliche Reise berichte, möchte ich zunächst ein paar Worte über unsere Zeit an der Baiyun University verlieren. Weil das, was wir in dieser Woche dort erlebt haben jeden von uns schmunzeln lies..
Eines deshalb zu Beginn: Die folgende Geschichte hat sich tatsächlich so abgespielt. Ich befand mich während des Erlebten und auch beim Niederschreiben bei normalem Bewusstsein und im Rahmen menschlicher Zurechnungsfähigkeit. Nur für den Fall, dass mir Einige von euch diese nach den folgenden Zeilen aberkennen möchten..


Also: Hattet ihr in eurem Leben schon mal die Möglichkeit euch wie richtige Stars zu fühlen? Nein? Ich auch nicht. Bis wir im Rahmen unserer Firmenbesichtigung die Baiyun University in Guangzhou besuchten. Eigentlich war sie viel mehr als das. Sie war für eine ganze Woche unser Zuhause, denn wir waren im Universitätseigenen Hotel untergebracht – direkt auf dem Campus.
Aber der Reihe nach: Nach zweistündiger Fahrt von Hongkong werden wir am Bahnhof in Guangzhou von Dr. Wu in Empfang genommen. Lange Zeit war er in Jena gewesen, spricht hervorragend deutsch und wird somit in den nächsten Tagen die dolmetschende Verbindung zum chinesischen Neuland darstellen. Mit dem Bus geht’s auf Hochstraßen weit über den Häuserdächern durch den Berufsverkehr von Guangzhou auf direktem Weg zur Uni. Am frühen Abend durchfahren wir still und leise das Haupttor zum Universitätsgelände, das von einem mächtigen Zaun umgeben ist. Nach einer kurzen Verschnaufpause erfolgt das Abendessen. An einem riesengroßen Rundtisch, auf dem eine fast genauso große Glasplatte aufgebracht ist. Sie ist drehbar gelagert und dient der Aufnahme der Speisen. Während des Essens wird sie dann mehrfach gedreht, damit sich jeder der am Tisch Sitzenden an sämtlichen Speisen bedienen kann. Mit uns am Tisch sitzt die Leitung der Universität, um uns willkommen zu heißen und uns auf den bevorstehenden Abend sowie die kommenden Tage einzustimmen. Auf derartigen Tischen werden wir in den folgenden Tagen bei verschiedensten Anlässen Gelegenheit haben, die chinesische Speisekarte hoch und runter zu probieren.
Nach der Einstimmung gehen wir zusammen auf das Unifest, auf dem eine Auswahl von Studenten ihr Können in den verschiedensten Disziplinen auf einer Bühne präsentiert. Direkt davor in erster Reihe steht ein langer Tisch, der für uns bereitgehalten wird. Ein wenig unangenehm ist es uns schon, die noch freien Plätze während des bereits laufenden Festes und vor den Augen der in dem Rondell sitzenden Studenten einzunehmen. Unter der Ankündigung der Moderatoren versteht sich. Mit so viel Gastfreundlichkeit müssen Deutsche erst mal klarkommen. Allerdings ist das nur ein kleiner Vorgeschmack für die nächsten Tage..
Diese Tage sind von früh bis spät durchgeplant. Ein Termin folgt dem Nächsten. Sightseeing, ständiges Fahren von A nach B, Firmenbesichtigungen, Diskussionsrunden, sogar ein Treffen mit Regierungsvertretern. Von halb acht Uhr morgens bis zehn Uhr abends sind wir beschäftigt. Zwei chinesische Studentinnen sind eigens für uns abgestellt worden, um uns bei eventuellen Problemen jederzeit hilfreich zur Seite stehen zu können. Sie begleiten uns rund um die Uhr. Immer wieder lesen wir auf Plakaten oder Leinwänden Begrüßungen, die den Anschein erwecken, dass wir hier wirklich sehnsüchtig erwartet werden. Warum dieser ganze Aufwand? Dass es sich nicht ausschließlich um reine Gastfreundlichkeit handelt, wird uns erst am zweiten Tag klar, als das Drängen um den Aufbau eines Netzwerkes zum Technologietransfer übermäßig intensiviert wird. Wir besichtigen merkwürdige Produktionslinien, während der Rundgänge bleibt keiner unsere Schritte unbeobachtet. Fotografen und Videokameras sind ebenfalls ständige Begleiter. Auch bei einer organisierten Diskussionsrunde mit „ausgewählten Studenten“ wird Protokoll geführt. Wir erzählen von unserem Leben in Deutschland, vom Reisen und von freier Entfaltung. Einigen stößt das sicher ein wenig unangenehm auf. Aber gut, an dieser Stelle möchte ich aufhören mit all den Verschwörungstheorien.
Zwei Dinge faszinieren dennoch ungemein. Auf der einen Seite die Stadt Guangzhou, die im letzten Jahrzehnt wie aus dem Boden gestampft eine absolute Superlative darstellt. Der Kontrast zwischen Arm und Reich wird einem unübersehbar vor Augen geführt. Als Europäer ist es schwer zu begreifen, welche Aufbruchsstimmung in diesem Land herrscht, wohin sie bis zu diesem Zeitpunkt schon geführt hat, wohin hin sie wahrscheinlich noch führen wird. In jeder Stadt, egal ob groß oder klein, werden gigantische Bauvorhaben realisiert, wird Wohnraum für abertausende Menschen auf die grüne Wiese gepflanzt. In den weitläufigen Ebenen des Landes bahnen sich neue Straßen- und Bahnverbindungen rücksichtlos ihren Weg.



Auf der anderen Seite ist es der Kontakt zu den Studenten, den wir in unserer wenigen Freizeit, zumeist am Abend pflegen. Und schon bin ich bei meinen einleitenden Worten: Seit dem ersten Tag stehen wir hier im Fokus. Besonders bei den Mädels. Gegenrennen, stolpern, fallen lassen. Dinge, die normalerweise Männern beim Anblick schöner Frauen passieren, sind hier umgekehrt zu beobachten. Wo auch immer wir uns bewegen sorgen wir für Aufmerksamkeit, halten sie sich aneinander fest und bekommen höchstens ein schüchternes Hallo über die Lippen. Wird das von uns erwidert, schlägt das durch und durch. Wie bei kleinen Schulmädchen. Kein Wunder: Die Studenten sind wie eingesperrt, dürfen das Unigelände nach halb acht nicht mehr verlassen, nur Freitag und Samstag gibt’s bis elf Uhr Ausgang. Und da sind wir natürlich die willkommene Abwechslung zum tristen Unialltag. Mit unserem Aussehen, Auftreten und dem ganzen Hype, der um uns gemacht wird. Die Gelegenheit, um alteingesessene Regeln zu brechen, was besonders den Sicherheitskräften, die nachts mit Taschenlampen über den Campus streifen, stark missfällt. Alles unter dem Vorwand für die Sicherheiten der Studenten zu sorgen natürlich. Da diese außerhalb des Geländes nicht gewährleistet werden kann, müssen die drin bleiben. Alles klar.



Bereits am ersten Abend lerne ich ein chinesisches Mädchen kennen. Die englische Übersetzung ihres Namens ist Mandy. 21 Jahre, ein süßes Mädel. Sie spricht gerade verständlich Englisch. Fortan treffen wir uns jeden Abend. Schritt für Schritt beantworte ich ihre neugierigen Fragen mit Antworten die mehr erzählen. Erzähle ihr von der Welt außerhalb dieser Mauern. In der Tat hat sie bisher nicht viel mehr gesehen, als ihre Heimatstadt Dongguan, die anderthalb Stunden entfernt liegt und diesem Unicampus. Sie ist das Ebenbild eines guten Studenten, wie er hier gesehen wird. Und es gibt Momente, an dem ich wirklich kurz innehalten muss, wenn sie diese unglaublichen Fragen stellt. An denen mir fast die Tränen kommen, ich sie an der Hand nehmen und mit auf diese Reise nehmen möchte, um irgendwo, in the middle of nowhere zu stehen und ihr zu zeigen: Das ist die Welt, so vielseitig und wunderschön. Sieh sie dir an, sie liegt zu deinen Füßen! Aber so viel Weltoffenheit ist in China nicht unbedingt gern gesehen. Hier werden die Menschen nach bestimmten Denkmustern erzogen, werden kontrolliert, um sie beherrschbar zu machen. Es zeigt einem einmal mehr, warum Menschen schon immer bereit waren, für ihre Freiheit zu kämpfen. Nicht wenige Kriege wurden deshalb geführt, schließlich ist sie das Wertvollste was wir haben.
Und so vergeht Tag um Tag. Unser Prominentenstatus steigt stetig, wir sind Gesprächsthema Nummer Eins am Campus. Am letzten Abend schließlich mündet die ganze Aufregung in einer unglaublichen Euphoriewelle, als wir mit den Studenten zu einem letzten Treffen verabredet sind. So viele sind gekommen, um uns zu verabschieden. Ich weiß gar nicht, auf wie vielen Fotos wir posiert und wie viele Fragen wir beantwortet haben. Wir werden regelrecht angehimmelt. Die FH-Jena Präsente, die wir zum Verteilen mitgebracht haben, werden uns förmlich aus den Händen gerissen. Zum Abschluss stellen wir Masterstudenten uns noch einmal gemeinsam auf, um für ein letztes Foto zu posieren. Im Blitzlichtgewitter der Kameras mehrerer hundert chinesischer Studenten, die im Halbkreis um uns herum stehen. Mehrmals lasse ich mich kneifen, um das was hier passiert, irgendwie begreifen zu können. Einige von uns haben selbst die Kameras in der Hand, um etwas festzuhalten. Denn das was hier passiert ist, wird man zu Hause nur schwer jemandem glaubhaft machen können. Und ich würde es noch nicht einmal jemandem übel nehmen..