Dienstag, 7. Februar 2012

Neuseeland (Januar)

Erstes Ausflugsziel im neuen Jahr ist die Bay of Islands. Wann wir diese erreichen halten wir uns vollkommen offen. Zu schön ist es zeitlos zu reisen, ohne den Zwang, bestimmte Etappenziele in abgesteckten Zeitrahmen erreichen zu müssen. Mit diesen Vorzügen im Gepäck nähern wir uns in unregelmäßigen Schritten unserem Ziel, an manchen Tagen mehr, an manchen eben weniger. An schönen Flecken, die uns besonders gefallen, halten wir an, rasten oder verweilen die ganze Nacht. Und so ist das Einzige, was uns in gewisser Weise eine Richtung vorgibt, der lange Highway in den Norden. Eine angenehme Zeit, du lebst von Tag zu Tag und nimmst das Leben wie es kommt. All die Gedanken konzentrieren sich auf den Moment, keiner von ihnen verliert sich an dem, was noch vor uns liegt.


  

An einem schlecht befahrbaren Feldweg werden wir angehalten. Ein kleiner Junge, keine zehn Jahre alt, kommt aus seinem Wachhäuschen gewackelt und möchte 5 Dollar Passiergeld von uns haben. Eine richtige Preistafel gibt es sogar. Ihm fehlt mindestens ein halber Meter, um annähernd in unser Auto schauen zu können. Aus kurzer Entfernung erklärt er uns wo wir hin müssen. Wir zahlen artig und reichen ihm das Geld aus dem Fenster nach unten. Bei der Abfahrt am nächsten Morgen sind wir ein wenig verduzt. Sitzt da ein kleines Mädel in seinem Büro und assestiert. Ob sich die Beiden dort ziemlich gewitzt ihr Taschengeld verdienen, wissen wir bis heute nicht, aber sie sind wunderbar anzusehen. Eines steht jedenfalls fest, ihr Geschäft würden sie machen, denn wir sind nicht allein.
Auf Aroha Island hat es uns mitlerweile verschlagen. Die Nächte verbringen wir auf einem herrlichen Campingplatz unmittelbar am Wasser, tagsüber haben es uns die Strände von Paihia angetan. Wir liegen auf unseren Handtüchern, als ein Anruf unsere idyllische Urlaubsatmosphäre stört. Eine Dame vom Work and Income Office in Keri Keri ist am Apparat, bei der wir gestern vorstellig geworden waren. Sie bietet uns die Möglichkeit, bei einem Großbauern unterzukommen - direkt am Ninety Mile Beach. Das gibt für uns den Ausschlag. Wir verlassen Keri Keri zwei Tage später und fahren weiter in Richtung Norden. Mit einem Zwischenstopp an der MaiTai Bay, wo sich die Wellen in einem halbkreisförmigen Bogen zum Strand brechen. Richtig große sind da dabei, die einen wunderbar durchspülen und für einen Moment nicht wissen lassen, wo oben und unten ist. Genauso wie wir es mögen. Umgeben ist der Strand von seichten Hängen, die Tribünen eines Fußballstadions gleichen. Von oben kann man die gesamte Schönheit einer weitläufigen Bucht überblicken, die alles bietet. Neben großen Wellen auch ganz ruhige Stellen zwischen kleinen Felsen und Sandbänken. Am Abend ist es dort ganz ruhig, nur ein paar Möwen streiten sich um herumliegende Muscheln. Mit den Füßen kann man herrlich durchs seichte Wasser streifen, dass es den Sand aufwirbelt. Wenn man die Hände ins Wasser hält und ganz ruhig bleibt, setzt er sich auf den Handflächen wieder ab. Versuche ich die Sandkörner zu greifen, wirbeln sie im Wasser umher. Ein wunderbarer Vergleich zur Liebe wie ich finde. Und ein schöner Moment. Es fehlt an nichts. In einiger Entfernung spiegelt sich der offene Ozean, tausende Kilometer weit nichts als die Weite der See. Einmal mehr wird dir in solchen Momenten bewusst, was aus der einfachen Entscheidung diese Reise anzugehn in den letzten Monaten gewachsen ist, dass es für das noch so große Feuer den ersten kleinen Funken braucht. Eine traumhaft schöne Zeit, von der ich nicht eine einzige Sekunde missen möchte.

  

Abgestiegen, in the middle of nowhere. Wir wohnen in einem Haus, das erhöht über den Feldern und der Verpackungshalle auf einem Hügel steht. Rings herum nicht viel, außer das weite Northland. Vier weitere Backpacker, davon zwei Mädels, sind mit uns einquartiert. Um zu tanken oder einzukaufen müssen wir 40km weit fahren. Radio und 3 Fernsehsender haben wir, das ist auch schon alles. Das Haus ist super und bietet mehr als wir brauchen. Zahlreiche Schlafräume, eine große Küche und von der Terasse hat man einen herrlichen weiten Blick in die Landschaft. Tagsüber arbeiten wir auf den Feldern, oder verpacken die Ernte, die aus verschiedenen Melonen, Mais, Kürbissen und Gurken besteht. Eine harte Arbeit besonders an wolkenlosen Tagen. Keinerlei Schatten, die Sonne senkrecht am Himmel, so hoch, dass man sie kaum wahrnimmt. Weht allerdings nicht gerade eine kleine Briese vom Meer herüber, spürt man sie regelrecht auf der Haut brennen. Die Stärke der Sonnenstrahlen ist wohl durch das Ozonloch, das direkt über Neuseelnad zu finden ist, besonders ausgeprägt. Zum Glück kommt eine reife Wassermelone von der Flüssigkeitsmenge einem Getränk gleich und es ist ein Muss sich regelmäßig zu erfrischen. Unsere Kollegen sind überwiegend einfache Leute aber sehr freundlich. Bereits nach der ersten Woche könnten sie uns mit Maoris, den Ureinwohnern Neuseelands, verwechseln, denn unsere Bräune nimmt in dieser Zeit exorbitant zu. Die freundliche Arbeitsatmosphäre macht die anstrengende, manchmal bis in die Abendstunden andauernde Arbeit erträglicher. Jedesmal aufs Neue ist es gutes Gefühl, am Feierabend in die Lodge zu kommen und die verbleibende Zeit beim Abendessen, Kartenspielen, Lesen oder einer Flasche Wein ausklingen zu lassen. Der Sternenhimmel hier in Pukenui ist aufgrund der geringen Streulichtbelastung einer der schönsten, die ich je gesehen habe. Noch um Einiges prächtiger als im Death Valley von Nevada. Und vollkommen neuartig. Eine unfassbar deutlich abgezeichnete Milchstrasse und abertausende Sterne zieren den Himmel, die sich zu Sternzeichen zusammen setzen, wie ich sie nie zuvor bewundern durfte. Oft sitzen Alex und ich stundenlang im Garten und betrachten in klaren lauen Sommernächten die Schönheit dieses traumhaften Nachtspektakels.





Unsere wenige Freizeit verbringen wir an den umliegenden Stränden. Dabei haben wir die Wahl, an der Ost- oder Westküste baden zu gehen, schließlich liegen beide keine 15 km auseinander. Zur Westseite hin liegen malerische Buchten, zur Ostseite die weite Pazifikküste mit dem Ninety Mile Beach, einem gezeitenabhängig mal unheimlich breiten, mal ziemlich schmalen Strandabschnitt, den man auf seiner kompletten Länge sogar mit dem Auto befahren kann. Jedesmal aufs Neue verspürt man ein wunderbares Gefühl, wenn man das Meer das erste Mal zwischen den Dünen hindurch glitzern sieht, das Salz riechen und schmecken kann. Über kleine Pfade erreicht man dann die teilweise menschenleeren Strände. Schaut man zu den Seiten, sieht man nichts als Küste und große Wellen, die den Strand hinaufrollen. Die Kulisse verliert sich in einer leichten Trübe am Horizont. Das Meer, diese unendlich wirkende Weite, der feste Sand – solch einen Flecken Erde hatte ich mir immer zum Joggen gewünscht.
Allerdings ist die Kraft des Meeres nicht zu unterschätzen, wie Benjamin und ich zu spüren bekommen, als wir uns bei eintretender Ebbe zu weit hinaus wagen. Starke Strömungen haben uns bereits gute zwanzig Meter auseinander getrieben und nach einiger Zeit erkundige ich mich, ob alles in Ordnung ist mit ihm. Er bittet um Hilfe aufgrund nachlassender Kräfte. Ich habe wirklich Not, ihn da raus zu bekommen, muss mich losreißen, um selbst wieder Luft zu bekommen, weil ich merke, wie er sich an mir festklammert und mich bei großen Wellen ins Wasser drückt. Es ist ein elender Kampf, ohne spürbar Meter gut zu machen. Die rettende Küste die ganze Zeit vor Augen. Gemeinsam schaffen wir es mit letzter Kraft wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Steht man knietief im Wasser scheint es, als gäbe es zu den üblichen Gezeiten noch ein Kommen und Gehen des Meeres in wesentlich kürzeren Intervallen, so stark ist der Sog des Wassers hinaus auf die See, nachdem einige Wellen ihre Energie am Strand verloren haben und den Wasserspiegel schlagartig ansteigen lassen. Wir sind heilfroh, wenig später wieder auf unseren Handtüchern zu liegen und das Meer, zumindest für diesen Tag, aus sicherer Entfernung genießen zu können. 
Drei Tage später springe ich dem Tod ein weiteres Mal von der Schippe, als ich auf dem Feld um ein Haar von einem Laster überfahren werde. Während der Umrüstung an unserer Erntemaschine kommt ein LKW in meinem Rücken wie aus dem Nichts angerauscht. Im letzten Augenblick drehe ich mich um und springe zur Seite. Der Laster bleibt weniger Meter weiter im Feld stecken. Aus Wut über die Unfähigkeit des Fahrers zerschellt eine von mir geworfene Wassermelone am Führerhaus. Als der Verrückte austeigt und sich über die Sauerei an seiner Heckscheibe beschwert, vermittelt er nicht den Eindruck, als hätte er bemerkt wie knapp das war. Glücklicherweise ist er anschließend damit beschäftigt, das festgefahrene Fahrzeug mit Hilfe eines Radladers wieder frei zu bekommen und hat daher keine Zeit, sich weiter mit mir zu befassen. Gut so. Zwei zusätzliche Geburtstage im Januar kann ich also ab sofort feiern. Langsam aber sicher komme ich mir vor, als wäre das hier die Final Destination.



Bis Ende Januar wühlen wir noch auf den umliegenden Feldern rund um unsere Unterkunft. Dann beginnt die stetig glimmende Reiselust in unseren Herzen ein weiteres Mal aufzulodern. Es zieht uns weiter in den äußersten Norden. Zum Cape Reinga.
Ein Leuchtturm ziert das Cape, zu dem sich ein kleiner Pfad in einigen S-Kurven hinunter schlengelt. Rings herum, tief unten am Fuße der wuchtigen Felsablagerungen, zerschellen riesige Wellen. Zur Spitze treffen sich zwei Meere, der Pazifische Ozean und das Tasmanische Meer, die in wilden Strudeln ineinander fliessen. Diese Kulisse mit der angenehm leichten Meeresbriese unter der warmen Sonne - keine Frau der Welt würde es hier schaffen, einem Antrag zu widerstehen.
Unmittelbar vorm Leuchtturm zünden wir die erste unserer beiden Konfettikanonen an einem Entfernungszeiger. Als Symbol für das Erreichen der Nordspitze. Nach einer Nacht auf einem Zeltplatz um die Ecke erkunden wir am Folgetag die Umgebung zu Fuß. The far north – eine traumhaft schöne Ecke Neuseelands.