Sonntag, 27. Mai 2012

Neuseeland (Mai)

Die allmonatliche „Ausgabe“ meines Blogs gibt es für den Mai schon ein paar Tage früher als gewohnt, denn ich möchte auch auf diesem Weg noch einmal meiner Oma zu ihrem heutigen 84. Geburtstag gratulieren. Danke Oma, alles alles Gute, viel Gesundheit und bleib wie du bist! Falls ihr bei der ganzen Feierei noch einen Moment Zeit findet, gibt es hier wieder etwas zu lesen für euch..  :)

 
Es ist Sonntag, früh am Morgen kurz nach acht Uhr. Ich stehe neben Jo und David in einem „Mancage“,  einem Personen-Container für Außenarbeiten am Gebäude. Jo ist Kiwi, David Ire, beide sind fast einen Kopf größer als ich und auch von der Körperstatur her, man könnte meinen sie wurden mit Kraftfutter hochgezüchtet, komme ich mir manchmal vor wie ein Wicht. Die Karabiner klicken, mit einem Ruck beginnt uns der Kran an seinem massiven Haken nach oben zu ziehen. Bis auf gut dreißig Meter zum obersten Stockwerk. Unten am Boden hängt der Nebel wie Zuckerwatte zwischen den farbenfrohen Bäumen, weit am Horizont spiegelt sich glitzternd das Meer. Zur anderen Seite ragen die vordersten Gebirgszüge der Südalpen auf, deren Gipfel in den letzten Nächten weiße Spitzen bekommen haben. Die Luft ist frisch und feucht, ein kühler Wind pfeift uns um die Ohren. Zwar ist kalendarisch noch Herbst, aber der Winter scheint nun immer lauter an die Tür zu klopfen. Da heute jedoch kein Werktag ist, bleibt weiterer Lärm um uns herum vorerst aus. Und da John, unser Supervisor, um diese Uhrzeit ohnehin zu faul ist sich aus seinem gut beheizten Bürocontainer zu bewegen und die vielen Stockwerke bis hier hoch zu kraxeln um uns bei der Arbeit zuzusehen, genießen wir erst einmal die Ruhe und die Aussicht. Und nutzten die Gelegenheit, um über den Jeans Store zu philosophieren, den wir vor ein paar Tagen ausfindig gemacht haben. Seit dem verheerenden Erdbeben ist dort noch gar nichts passiert. Lediglich die Eingangstür des bis unters Dach mit Klamotten vollgepackten Ladens hat man schwer vernagelt. Verlockend wäre es ja schon, sich neu einzukleiden und auch ein Plan ist schnell geschmiedet, letztenendes hält uns aber ein nur für die Red Zone zuständiges Polizei-Department von unserem Vorhaben ab. Zu riskant, wir lassen alles da wo es ist und verwerfen den Einstieg. Allerdings ist das nicht das einzige Geschäft, das sich immer noch exakt in dem Zustand befindet, wie es nach dem Erdbeben fluchtartig verlassen wurde. Ein kleiner Minimarkt um die Ecke, ein Frisörsalon und einige Restaurants, hinter deren Schaufenstern noch die eingedeckten Tische stehen und Tortenreste in den Vitrinen mittlerweile zu Staub zerfallen, befinden sich gleich um die Ecke. Von dem gigantischen Holiday Inn Hotel unmittelbar gegenüber ganz zu schweigen. In ein paar Monaten wird von alledem Nichts mehr übrig sein, so viel steht jetzt schon fest. Und da ist die Versuchung groß, vorher nochmal einen Blick ins Innere zu riskieren.




Gerade beginnt sich Dunkelheit über die Dämmerung zu legen als ich einen Blick aus dem Fenster meines Reisebusses werfe und unweit der Straße zwei Rehböcke auf einem Felsvorsprung stehen sehe. Akkurat zeichnen sich ihre Konturen an dem von rot zu blau verlaufenden Abendhimmel ab. Zwölf Stunden Fahrt stecken mir in den Knochen, eine Fahrt von Christchurch immer an der Küste entlang in einem weiten Bogen bis zum Ziel. Auf dieser ausgedehnten Inselrundfahrt gabs viel zu erblicken, so viele Ecken in so kurzer Zeit, allerdings bis auf ein paar Stopps mit kurzzeitigen Aufenthalten auch leider keine Gelegenheit sich irgendetwas von dem Gesehenen einmal ausführlicher anzusehen. Und so preschte mein Reisebus termingetreu bis hierher um sich wenig später in seiner ganzen Breite durch die schmalen Straßen von Te Anau zu zwängen. Ich bin hier um mich mit Alex und Ben zu treffen, die schon ein paar Tage eher losgefahren sind, um unsere Inselrundfahrt gemeinsam fortzusetzen. An der Waterfront finden wir zusammen. Anne Marie, Lydia, Poppi und Schuh sind auch da. Nach 6 Monaten Australien wollen die Vier ein paar Wochen Neuseeland einschieben, natürlich eine gute Gelegenheit, um wenigstens eine kurze Zeit gemeinsam zu reisen. Und da ist Te Anau der perfekte Treffpunkt. Von hier aus verläuft eine 150km lange Strasse quer durch den Nationalpark unmittelbar bis nach Milford Sound, wo sie endet. Und genau dieses legendäre Milford Sound wollen wir uns in den nächsten Tagen gemeinsam ansehen.




Ein Wohnmobil vom Feinsten haben sich die Vier für ihre NZ-Zeit gemietet. Eine kleine mobile Wohnstube, die in der gerade begonnenen Nebensaison erstaunlich günstig ist. Zur Sommerzeit und Hauptsaison kostet ein Motorhome dieser Kategorie ein halbes Vermögen. Den ungewohnten Komfort einer beheizten Sitzecke und zahlreichen weiteren Vorzügen wissen wir natürlich sehr zu schätzen und sitzen nun bei den Neuankömmlingen als Gäste am Tisch. Bis tief in die Nacht gibt es bei Wein aus dem Tetrapak natürlich viel zu erzählen. Nach unserer Nacht im Grünen kriechen wir bereits früh am Morgen bei dichtem Nebel aus dem Schlafsack. Keine zwanzig Meter Sichtweite lässt das milchige Umfeld zu aber dafür ist es nicht kalt. Wir fahren zunächst zurück nach Te Anau um dort auf den Highway nach Milford Sound abzubiegen. Für die nächsten zwei Stunden wird falsch Abbiegen oder Verfahren absolut unmöglich sein. Und so passieren wir einen der größten Nationalparks der Erde, vorbei an goldgelben Valleys und verwunschenen Seen, in denen sich die umliegenden Bergkämme spiegeln, um schon am Vormittag unser heutiges Tagesziel Milford Sound zu erreichen. Auf dem ersten Blick gleicht es ein bisschen einem dieser norwegischen Fjorde, es ist wirklich beeindruckend. Mit unserer Ankunft schafft es auch die Sonne gerade, sich mühseelig über die steilen Felswände zu kämpfen und die zwischen ihnen ruhenden letzten Nebelreste im Fjord aufzulösen. Wir buchen uns eine Bootstour am Nachmittag, packen die Stühle aus und genießen die Szenerie unmittelbar am Wasser. Es ist wirklich ein wunderschöner und ruhiger Flecken Erde der nur hin und wieder durch ein zum Rundflug ansetzendes Flugzeug oder einem knatternden Helikopter für einen Moment gestört wird, die sich schon nach kurzer Flugphase in der Weite verlieren und bald darauf nur noch als winzige Punkte vor den gigantischen Felswänden zu erahnen sind. Am späten Nachmittag schippern wir dann über den Fjord bis zum Meer, wo die Wellen richtig groß werden. Ganz vorn am Bug zu stehen, im Wellengang auf und ab zu steigen und nass gespritzt zu werden macht Allen richtig Spaß. Aber auch das, was wir auf unserer fast zweistündigen Fahrt zu sehen bekommen ist sehr beeindruckend. Mehrere tausend Meter ragen die Felsen direkt aus dem Wasser empor, weit über uns ihre wolkenverhangenen Gipfel. Noch nie habe ich Wasser und Wolken so dicht beieinander gesehen wie hier. Auf kleinen Felsen, die aus dem Wasser heraus ragen, liegen faul einige Seehunde, im Wasser tummeln sich Zwergdelphine. Noch vor einbrechender Dämmerung erreichen wir wieder das kleine Pier und suchen uns an einem der zahlreichen Docks unmittelbar im Nationalpark eine Stelle zum Übernachten.





In den nächsten Tagen hangeln wir uns mit Borat die Küste entlang und erreichen schon bald die Studentenstadt Dunedin. Auf unserem Weg hierher haben wir dem südlichsten Punkt des festländlichen Neuseelands einen Besuch abgestattet, eingeschlossene Fossilien im Felsgestein und atemberaubende Cathedral Coves gesehen, Höhlensysteme, die sich unglaublich hoch und tief in das Gestein ziehen und nur bei absoluter Ebbe zugänglich sind. Unser Weg war stets geziert von  Schafweiden, auf denen die Schafe dicht an dicht stehen und kurz vor der Scheerung so unglaublich buschig und flauschig aussehen, zu gern würde ich ja mal eins knuddeln aber leider laufen sie immer davon. Aber nach der ländlichen Idylle der letzten Tage werden wir die Nächsten hier im belebten Dunedin verbringen. Es trifft sich gut, das wir es an einem Donnerstag erreichen, so haben wir das Wochenende für ein paar Abende zum Ausgehen unmittelbar vor uns. Und diese werden wir vor unserer Rückkehr nach Christchurch nutzen..




 

 
Mittlerweile ist Ende Mai, meine Zeit hier in Christchurch neigt sich dem Ende entgegen, der Abschied rückt näher und näher. Und es passiert etwas in der Red Zone, was einem eine kleine Kostprobe von dem gibt, wie schnell es einen Abschied für immer geben könnte.
Seit ein paar Tagen sind wir mit dem Verkauf von Borat beschäftigt. Telefonate mit Interessenten, Besichtigungen, heute in der Mittagspause sind wir beim zuständigen Office für die Ummeldung des Fahrzeugs gewesen. Um noch eine Kleinigkeit zu essen nachdem wir wieder zurück sind, bleibe ich noch kurz im Pausenraum während sich alle anderen bereits auf den Weg über die zahlreichen Treppen zum obersten Stockwerk machen. Ich schiebe die Nudeln in die Mikrowelle und warte. Bing, fertig! Und gerade bin ich dabei meine Nudeln zu verspeißen, da fallen sie mir von der Gabel zurück in die Box. Der gesamte Pausenraum beginnt heftig an zu wackeln. Sicherheitshalber bewege ich mich zwischen die Aufzugsschächte, stets einem der stabilsten Bereiche eines Gebäudes, der demnach auch als Letztes einzustürzen droht. Schon nach wenigen Sekunden ist alles vorüber. Im Inneren des Gebäudes ist alles still, auch draußen ruhen die Maschinen. Die erste Frage: Wie stark wird dieses Beben wohl gewesen sein? Ab Stärke 5 muss umgehend die Evakuierung des Gebäudes, darauf folgend der gesamten Red Zone, erfolgen. Gut möglich ist das schon, schließlich hat es ordentlich geschaukelt. Ich schnappe meine Sachen und gehe vor die Tür zum Sammelpunkt. Es war eine 5,2, alle raus! Und während ich dort draußen auf all die Anderen warte die noch im Gebäude sind, nutze ich diese kleine Kostprobe und versuche mich in dieser Situation mit dem Ernstfall, einem eventuellen Einsturz des Gebäudes bei einem stärkeren Beben, vertraut zu machen. Kein schönes Gefühl, aber die Gefahr ist allgegenwärtig, denn dieses für diese Region mittlerweile schon „normale“ Beben schafft es sogar in die internationalen Nachrichten. Als es scheint, dass alle draußen sind, erfolgt der Abgleich. Anschliessend werden alle Arbeiter nach Hause geschickt. Für die nächsten zwei Tage wird die Arbeit ruhen, das Gebäude muss durch Sicherheitsingenieure überprüft werden. Zwar befinde ich mich bei meiner persönlichen Zählung der letzten verbleibenden Tage bereits im einstelligen Bereich, aber über ein richtiges Wochenende freue ich mich natürlich auch mal wieder, da wir mittlerweile soagar sieben Tage die Woche arbeiten.
Durch die unverhofften freien Tage haben wir ausreichend Zeit, um Borat seinem neuen Besitzer zu übergeben. Der Zuschlag für ihn war ein wenig kurios. Im Laufe des Tages hat jemand angerufen, der zeitlich verhindert seinem Arbeitskollegen bescheid geben wollte, um das Fahrzeug anzusehen. Wir einigen uns am Telefon auf einen Mitnahme-Preis. Am Abend ruft dann ein Mann an, der von seinem Arbeitskollegen über den Van informiert wurde und möchte in der nächsten Stunde vorbei kommen um das Fahrzeug zu besichtigen. Gesagt, getan, kurz darauf ist er da. Ein paar Fragen, eine halbe Runde um das Fahrzeug, eine weitere Frage zum erwarteten Kaufpreis. Ich erklären ihm, das wir uns mit seinem Arbeitskollegen heute Nachmittag bereits auf $4.000 geeinigt haben, das Auto „so wie es ist“ zu verkaufen. Eine Sekunde der Überlegung, dann streckt er seine Hand aus. Deal! Er kauft das Fahrzeug nach der Ansicht einer Fahrzeugseite, einem kurzen Blick in den Laderaum und ohne es anzulassen geschweigedenn eine Runde um den Block zu fahren. Und somit kauft er Borat mit 8.000km ausstehender Dieselsteuer und einer eingerissenen Windschutzscheibe. Dennoch ein fairer Deal, denn knapp $600 wird es kosten die Mängel zu beheben, zudem hat Borat im Vergleich durchaus noch einen Wert von knapp $5.0000. Ein guter Kompromiss für alle Beteiligten und Borat wird fortan Werkzeug auf die Baustelle fahren.




Die letzten Tage bestehen im Wesentlichen darin, meine Sachen zu packen und nach nun mehr zweieinhalb Monaten meine Zelte hier in Christchurch abzubrechen. Zurück nach Auckland wird die Reise gehen, dort wo vor ziemlich genau sechs Monaten alles begann. Ein halbes Jahr, das vieles beinhaltete. Freude und Streit, Zuversicht und Aussichtslosigkeit, Reisen und Arbeit, Stille und Geschwindigkeit. Zweimal wäre ich fast drauf gegangen, bestohlen wurden wir auch. Was haben wir alles gesehen, was haben wir durchgemacht!! Es waren sechs Monate, von denen wir bis zu einer kleinen Ausnahme für ein paar Tage zum Schluss, ausnahmslos jeden Tag zusammen waren. Immer und überall. Führt man sich das einmal vor Augen, jede intakte Beziehung würde unter diesen Umständen gnadenlos in die Brüche gehen. Aber zum Glück sind wir drei Männer.. ;) Nun ist es Zeit lebewohl zu sagen und natürlich freue ich mich auf den bevor stehenden neuen Abschnitt und zu entdecken, was er bereit hält. Alex, dir viel Spaß in Deutschland und bald darauf in Australien. Grüße an die Daheimgebliebenen. Ben, dir natürlich auch eine erlebnisreiche Weiterreise und auf ein Wiedersehen in Brisbane. ;) Lasst es euch gut gehen und danke für die schöne NZ-Zeit..



Mittwoch, 2. Mai 2012

Neuseeland (April)

In den letzten Wochen hat ein wenig der Alltag Einzug in unser Leben in Christchurch gehalten. Sechs Tage die Woche sind wir auf der Baustelle in den einstigen Geschäftsräumen der Westpac-Bank. Die großzügig ausgestatteten Räumlichkeiten, all die mühseelige Arbeit der vergangenen Zeit, beginnt Stück für Stück wieder zu verschwinden. Vergleichbar mit einem großen Ameisenhaufen, in dem die abertausenden Helfer eifrig an der Herrichtung arbeiten, nur eben in umgekehrter Reihenfolge. Würde man sich dieses Treiben zudem im Zeitraffer anschauen, das Gewusel wäre grenzenlos. 
Seit ein paar Tagen haben wir auch einen neuen Supervisor. John aus Irland. Ein wenig untersetzt ist er, sein Kopf spiegelglatt rasiert. Auffallen tut er neben seiner lauten Ansagen aber vorallem durch seinen vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden Gang, wenn er wieder einmal über die Baustelle schreitet. Mit ein paar britischen Gefolgsleuten wurde er extra aus Europa eingeflogen, um die Geschicke in die Hand zu nehmen. Unser bisheriger Vorgesetzter Peter muss seinen Platz räumen. Von nun an hallen die schroffen Kommandotöne von John durch die Etagen und ein wenig vermissen wir die feinfühlige Umgangsart von Peter, die wir schnell zu schätzen gelernt hatten. Aber schon nach einiger Zeit beginnt sich auch John von einer anderen Seite zu zeigen. Zwar bleiben seine Ansagen auch für den einfachsten Arbeiter unmissverständlich, klar und direkt, aber seine menschliche Seite gewinnt zusehens an Bedeutung. Für meinen bisherigen Weg interessiert er sich, wie lange es mich noch hier hält und wo es noch hingehen soll. Gern berichte ich ihm von meinen Erfahrungen, erzähle ihm von Amerika, Asien und meinen Eindrücken in Neuseeland aber wie es weitergeht, das steht noch in den Sternen. Zwar schweben mir desöfteren interessante neue Ziele vor, die schnell zu Träumerein führen, aber das nun alles schon im Voraus festzulegen und mir meinen weiteren Weg vorzugeben, das möchte ich nicht. Neue Möglichkeiten finden ihren Platz im Hinterkopf und wenn sich die Chance ergibt wird sie ergriffen werden. Australien ist ein ziemlich konkretes Thema, aber alles zu seiner Zeit und wenn sie reif ist dafür. 
Gesehen hat John auch schon Einiges, gibt viel von dem Preis und überrascht mich immer mehr, wenn er zu erzählen beginnt. Nach mehreren Wochen der Zusammenarbeit kann ich den ersten Eindruck, als er mir mit den Worten: „Don’t touch it. Leave it. You understand? Yes?“ begegnete und mich wie einen dummen Jungen behandelte, in keinster Weise mehr nachvollziehen. Dachte ich mir damals noch stets „Yes sir“, wenn er wieder einmal den Höflichkeitsabstand stark unterschritt und bis auf wenige Zentimeter heran trat, und war immer froh, wenn er wieder seiner Wege ging, scherzen wir nun und anschliessend lässt er mich meiner Aufgaben nachgehen. Unseren Vermittlungsagenten überhäuft er mit Lobeshymnen über uns. Nur die allmorgendlichen Fragen, wie viele Bier und Frauen es gestern Abend waren, kann er sich nach wie vor nicht verkneifen. Allein bei dem Gedanken an die für ihn bereits nach einem Monat schon legendäre Manchester Street, an deren Seiten sich bereits am frühen Abend leicht bekleidete Damen zur Schau stellen, gerät er ins Schwärmen und reibt sich verschmitzt lachend die Hände. Ein Ire durch und durch, so wie die ganze Bande..



Das Osterwochenende steht vor der Tür. Vier freie Tage, die die Chance für einen Ausflug bieten. Unsere Wahl fällt auf den Mount Cook, den höchsten Berg Neuseelands. Am Karfreitagmittag machen wir uns mit Borat auf die Socken. Wir verlassen Christchurch und biegen auf den Scenic Drive ab, eine kleine Straße durch eine landschaftlich reizvolle Ecke des Landes, die ich von zwei Münchnern beim Frühstück wärmstens ans Herz gelegt bekommen habe. Gesagt, getan. Die Empfehlung ist super und eine wunderbare Alternative zum Highway 1, der zwar sicher die schnellste Verbindung darstellt, aber Zeit soll an unserem verlängerten Wochenende keine Rolle spielen. Und darüber bin ich sehr froh. Denn Zeit birgt unter uns drein auch nach nun mehr fünf Monaten des gemeinsamen Reisens das größte Konfliktpotential. Wann und wo werden wir wie etwas machen.. Aber mal ehrlich: Sind wir in dieser Hinsicht nicht lange genug Soldat gewesen? Bietet diese Auszeit hier nicht die Möglichkeit, mal etwas anderes auszuprobieren? Es bleibt die Einsicht, dass wir in diesem Punkt grundlegend verschieden sind. Und es mit höchster Wahrscheinlichkeit auch bleiben werden. Aber wir haben darüber gesprochen, akzeptieren mittlerweile die verschiedenen Ansichten und nehmen es mit Humor. Viel wichtiger: So weit wie möglich gehen wir aufeinander zu, das macht es einfacher. Was wir aber alle zusammen sehr zu schätzen wissen: Wir können gleichermaßen lachen und streiten und uns stets wieder in die Augen schauen, eine Sache, die sich als sehr wertvoll erwiesen hat.
An einem schroffen Gebirgsfluss halten wir an und wagen einen Blick von der wackligen Hängebrücke hinab. Bei jeder Überfahrt eines Fahrzeugs beginnt sie gleichmäßig zu schwingen. Ganz wohl fühlen wir uns nicht, aber die Aussicht in die traumhaft schöne Landschaft ist grandios. Die Breite des Flussbettes und die Skalen am Ufer lassen erahnen, welche Höhen der Wasserspiegel bei eintretender Schneeschmelze anzunehmen vermag und welche Wassermassen sich dann ihren Weg in die Weite der umliegenden Valleys bahnen. Träumend stehe ich wie ein kleiner Zwerg in der Mitte der riesigen Brücke und versuche mir die Kraft und Urgewalten vorzustellen, die hier im kommenden Frühjahr vorherrschen werden. Auch Ira und Matthias, die beiden Münchner vom Frühstück heute Morgen, treffen wir an dieser Stelle wieder. Es wird nicht das Letzte mal sein, dass wir ihnen in den nächsten Tagen begegnen. Sie berichten von einem Erdbeben in Christchurch heute Vormittag zum Zeitpunkt unserer Abfahrt. Eine 4,5 auf der Richterskala. Im Auto haben wir von all Dem nichts mitbekommen, aber dennoch ist die Aktivität in dieser Region beachtlich und wie sie die Bevölkerung seit einigen Jahren in Atem hält. Noch für diesen Monat ist ein weiteres schweres Beben vorhergesagt, das hoffentlich ausbleiben wird.



Die Straße schlängelt sich in einigen engen Kurven die steilen Bergrücken hinauf. Kontinuierlich gewinnen wir an Höhe. Durch prächtige Kulissen führt sie uns nach ein paar Stunden Fahrt zum Lake Tekapo, vor dessen durch Bergkristalle unwirklich türkisblau schimmernder Wasseroberfläche wir einen Moment inne halten. Es ist windstill, sie gleicht einem überdimensionalen Spiegel. Im Hintergrund perfektionieren die weit aufragenden schneebedeckten Gipfel der Südalpen dieses traumhaft schöne Panorama. Wir umfahren den See und durchqueren ein schier endlos wirkendes Valley, an dessen Ende unser Campingplatz am Fuße steil aufschießender Berge liegt. Eine Hütte bietet uns Schutz und genug Platz zum Kochen und Essen. Bald wird es dunkel. Als wir vor die Schiebtür nach draußen treten und nach oben schauen, verschlägt es uns für einen Moment die Worte. Weit oben wird der Gletscher durch den kugelrunden Vollmond angestrahlt und erzeugt eine beeindruckende Atmosphäre. Wie im Tageslicht wirkt er, drum herum ist alles dunkel.


  

Am nächsten Morgen kriechen wir nach einer frischen Nacht aus dem Auto. Wir wollen den Tag für eine Wanderung in die Umgebung nutzen. Die Wahl fällt auf die umliegenden Gletscherseen, die durch einen gut passierbaren Wanderweg zugänglich sind. Während wir laufen hören wir auf einmal tosendes Gepolter. An einer gegenüberliegenden Felswand gehen einige Lawinen ab. In einem lauten Donnern stürzen sie ins Tal. Auslöser ist die Sonne, die sich kontinuierlich ihren Weg steil und steiler nach oben bahnt und die ruhenden Schnee und Eismassen der letzten Jahre schwächt. Und so brechen immer wieder Teile ab, reißen Fels mit in die Tiefe und erzeugen dieses laute, durch die Täler hallende Grollen. Nach knapp zwei Stunden erreichen wir den Gletscher zu einer ausgiebigen Rast. Auf dem Gletschersee davor treiben einige gigantische Eisblöcke im grün-braunen Wasser, die durch Verunreinigungen aber annähernd die Farbe des umliegenden Felsgesteines angenommen haben. Rings herum ragen fast senkrecht die Steilwände der hohen Bergspitzen empor.
Aus unserer Rast ist eine sehr ausgiebige Pause auf einem Felsvorsprung oberhalb des Gletschersees geworden. Bis zum Nachmittag haben wir die Ruhe genossen und unten im Tal die sich tummelnden Touristen beobachtet. Nun ist es Zeit, den Heimweg anzutreten. Langsam verschwindet die Sonne hinter den Bergen und weit unten im Tal kann man die immer größer werdenen Schatten beobachten, die einen Vorhang über unser Valley ziehen um die bevorstehende Nacht herbei zu bringen. Und wir haben Glück, ein seichter Fön zieht durch die Berge und bringt warme Luft, so dass es selbst bei völliger Dunkelheit möglich ist, im T-Shirt draußen zu sitzen. Beste Voraussetzungen für eine angenehme Nacht, in der wir noch nicht einmal die Schlafsäcke zumachen müssen. 




An den beiden Folgetagen machen wir uns wieder auf den Weg in Richtung Christchurch. Mit einem Zwischenstopp am Lake Tekapo, einer Runde Minigolf und einer Übernachtung an einem idyllischen ländlichen Dock irgendwo zwischen Kuh- und Schafweiden. Unser Osterwochenende neigt sich dem Ende entgegen, viel zu schnell hat uns Christchurch und die Redzone wieder.
Nach getaner Arbeit verbringen wir unseren Feierabend wieder einmal in der Küche und den Wohnbereichen unseres Hostels. Ich mag die Gesellschaft der vielen Leute sehr und auch das Kochen macht so gleich viel mehr Spaß. An dem großen erhöhten Esstisch, der umgeben von Barhockern in der Mitte unserer Küche steht, trifft man sich anschließend zum Plausch und tauscht Erfahrungen aus. Super interessanten Leuten begegne ich hier. Neben der familiären Atmosphäre hat unser Hostel noch ein ganz besonderes Feature zu bieten: Eine Badewanne. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie gut es tut, nach so langer Zeit mal wieder ein Bad zu nehmen. Einfach herrlich. Fortan werde ich sehr oft davon Gebrauch machen und genießen. Recht bald legen wir uns dann meist zum Schlafen, um für den nächsten Arbeitstag ausreichend fit zu sein. So auch an diesem Abend, es ist ein Feierabend fast wie jeder andere. Aber eben nur fast.. Gerade habe ich die Augen zugemacht, da fängt mein Bett auf einmal ganz langsam an zu schwingen. Ich öffne die Augen. Sind da die Nachbarn im Zimmer nebenan zugange? Immer stärker werden die Schwingungen. Ich blicke zur anderen Seite des Raumes, wo mich auch Benjamin ungläubig drein schauend anblickt. Die Flügel des großen Spiegels und die Lampe in der Mitte des Raumes schwingen gleichmäßig mit. Nach gut 10-15 Sekunden ist alles vorüber. Unser erstes wirklich gespürtes Erdbeben. Für die Einheimischen hier keine große Sache, sogar eines der angenehmeren Sorte und nur eine Stärke von 4,2, wie wir am Folgetag auf Arbeit erfahren. Für uns eine absolut neue Erfahrung und ein Vorgeschmack darauf, welcher Ausnahmezustand hier vorherrschen kann, wenn sich der Untergrund derart heftig bewegt, dass sich niemand mehr auf den Beinen halten kann und sogar Häuser zum Einstürzen bringt. Zwei Beben dieser Größenordnung hat es hier in den letzten Jahren schon gegeben und die Stadt zu dem gemacht, was sie im Moment ist. So unglaublich schade, denn Christchurch hat wunderschöne Ecken. Eine zumindest für Erdbeben nicht so empfindliche ist der traumhaft schöne Hagley-Park, der mit seinen vielfältigen Themengärten mitten im Herzen der Stadt zum Relaxen einlädt. Es gibt kaum ein Wochenende an dem ich ihm keinen Besuch abstatte und die willkommene Ruhe zum lauten Redzone-Alltag genieße. Ein wunderbar friedvoller Ort der Entspannung, perfekt um Energien in Einklang zu bringen und Kraft für die bevorstehende Woche auf der Baustelle zu tanken. Insofern uns nicht ein Erdbeben zuvor kommt und unseren stark beschädigten Arbeitsplatz schneller dem Erdboden gleich macht, als eigentlich vorgesehen.